Frank Kämmer: Weinirrtümer
1. Juli 2007Die Rezension des kleinen Lexikons der Wein-Irrtümer gibt es hier zu lesen.
Die Rezension des kleinen Lexikons der Wein-Irrtümer gibt es hier zu lesen.
Der Krimi war wochenlang auf Platz 1 der Spiegel-Bestsellerliste. Zudem hat er den 1. Preis des Deutschen Krimi Preises 2007 gewonnen. Darüber hinaus ist es der erste Krimi, den Andrea Maria Schenkel veröffentlicht hat. Ein weiterer ungewöhnlicher Aspekt ist der Verlag: Nautilus. Dieser ist eher für sein politisches Buch bekannt. Da erscheinen einige anarchistische Autoren.
Tannöd ist lesenswert, weil spannend. Die Autorin hat ein sehr feines Gespür dafür, die dörflichen Verhältnisse im Nachkriegsdeutschland zu beschreiben. Darin ist ein wesentlicher Grund für den Erfolg des Buches zu sehen. Es geht nicht nur darum einen Mörder zu finden, sondern eine grausame Tat vor dem gesellschaftlichen Hintergrund der damaligen Zeit zu verstehen. Der Leser fragt sich ständig: Wie konnte es dazu kommen?
Die Tat besteht in der Ermordung aller Bewohner eines Einödhofes (eingeschlossen der Kinder). Dieser trägt den Namen Tannöd. Dieser Name ist Programm. Er klingt nach Abgeschiedenheit, dunkler Wald und Öde. Diese Öde - verstanden als eine Menschenleere - entspricht der Entmenschlichung kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, der die beteiligten Personen und die unmenschliche Tat entsprechen.
Ein Grundmotiv des Krimis ist das Verschweigen von Verbrechen. Diese nach dem Faschismus umfangreich vorhandene Vorurteile und Verbrechen werden häufig angedeutet. Dazu dient auch die Erzählweise. Mal bestehen sie aus Mitschriften von Interviews, mal wird dem Täter über die Schulter geschaut. Dabei wird eine bedrückende Enge erzeugt. Dies entspricht den nahen Beziehungen im Dorf, die ständig in eine Fremde umschlagen.
Diese Rezension des Krimis ist hier nachzulesen.
Die Proteste bei der Planung und Umsetzung der Arbeitsmarktreformen der “Rot-Grünen”-Bundesregierung waren groß. Schließlich wurden gar die Bundestageswahlen vorgezogen, da Kanzler Schröder argumentierte, dass nicht genug Vertrauen in ihn und seine Politik der Agenda 2010 gesetzt werden würde. Nun hat sich der öffentliche Widerstand gelegt. Eine individualisierte Problemverarbeitung und umfangreiche Buchpublikation hat begonnen. In diesem Zusammenhang ist auch ein neues Schwarzbuch erschienen.
Schwarzbücher sind in letzter Zeit in Mode gekommen. Da gibt es welche über Globalisierung, Öl, Markenfirmen, Steuerverschwendung usw. Das bekannteste Schwarzbuch der vergangenen Jahre ist das über den Kapitalismus von Robert Kurz (welches mit mehr als 800 Seiten doch eher lang geraten ist). Trotz dieser sintflutartigen Erscheinungsweise von Schwarzbüchern ist die Grundidee recht traditionell und geht auf christliche Überlieferungen zurück. Dabei sind die Offenbarungen als Beschreibung von guten Taten einer Person in dem Goldenen Buch für das Jüngste Gericht zusammengefasst. Dieses wird auch als Weißbuch bezeichnet. Ein Schwarzbuch ist dem entgegen ein Buch, in welchem die Sünden dargestellt werden. Vor diesem Hintergrund entwickelten sich Schwarzbücher als Enthüllungsliteratur. Ihr Sinn dabei besteht in der Anprangerung von Missständen.
Damit ist dieses Genre aus der katholischen Tradition entwachsen und in eine moderne Sachbuchform überführt worden. Peter Hartz, Gerhard Schröder und Wolfgang Clement brauchen also durch die Veröffentlichung des Schwarzbuches Hartz IV keine gesteigerte Angst vor der Entscheidung an der Himmelpforte und einer Verbannung in die Hölle samt Fegefeuer haben. Ganz irdisch hingegen müssen sie mit der Wut und Organisierung der Betroffenen rechnen.
In den Betrachtungen der Hartz-Reformen im Schwarzbuch ist ein Focus auf die Zwangs- und Kontrollmaßnahmen gelegt. So erscheint vieles im Trend einer neuen Unmittelbarkeit. Die gesellschaftlichen Vermittlungsprozesse hingegen, wie sie sich in dem Motto “Fördern und Fordern” ausdrücken, werden etwas vernachlässigt. Dies erklärt sich aus den Erfahrungen, wie sie die Betroffenen gemacht haben. Zum zweiten nahm die Bundesregierung ihr “Vermittlungsproblem” selbst war, wobei einige Aspekte an diesen Arbeitsmarkt- und Sozialreformen einfach nicht vermittelbar sind.
Aus dem normativ entstammenden und sich wunderschön anhörenden “Fordern” und “Fördern” wurde - so wird in dem Buch argumentiert - ein bewusstes “Ãœberfordern” mit Vorgaben an den Arbeitslosen von Seiten der Arbeitsagenturen und ein anschließendes “Herausbefördern” aus dem Leistungsbezug. In den Kantinen der ARGEn und Arbeitsagenturen hat sich für diese Praxis der Begriff “Verfolgungsbetreuung” gebildet. Dies meint, dass man dem “Kunden” so lange unannehmbare “Angebote” unterbreitet, bis damit eine Leistungskürzung begründet werden kann. In den Arbeitsloseninitiativen nennt man dies “raushartzen”. Die versprochenen Wunder am Arbeitsmarkt konnten die Hartz-Reformen nicht einlösen. Somit bleibt nur noch die Kürzung bei sozial Schwachen übrig.
Das Schwarzbuch ist nicht nur wichtig da man in ihm über die Arbeitsmarktpolitik im untersten Segment recht viel erfährt, sondern auch über die Betroffenen. Denn über kaum eine andere gesellschaftliche Gruppe (wenn dieser Begriff angesichts des abnehmenden wohlfahrtsstaatlichen Elements des Statuserhalts noch verwendet werden kann) bestehen so viele Missverständnisse wie über Arbeitslose. Im öffentlichen Diskurs sind recht negative Stimmungen gegen diese Menschen vorhanden. Dadurch wurden die Hartz-Reformen erst möglich. Im Alltagsbewusstsein wird die Problematik der Arbeitslosigkeit nicht als strukturelles Problem des entwickelten Kapitalismus wahrgenommen, sondern dem Verhalten der einzelnen Betroffenen zugeordnet. Dabei hatte sich die Subjektivierung und Individualisierung von sozialen Problemlagen schon vor den Reformen der Rot-Grünen Bundesregierung gesellschaftlich durchgesetzt. Dies wurde mit den Hartz-Gesetzen über das “Fallmanagement” und die “Ich-AG” verstärkt.
Um so mehr erstaunte die Organisationsfähigkeit von Arbeitslosen wie sie sich in den Protesten zeigte. Dies gilt, auch wenn das eigentliche Ziel einer Rücknahme der Hartz-Gesetze nicht erreicht wurde. Bei einer Betrachtung über den Tellerrand, nämlich nach Frankreich, zeigt sich ein anderes Ergebnis. Dort musste am Anfang dieses Jahres die Regierung nach massiven Protesten, an denen sich auch viele Studierende beteiligten, die Gesetze zur Verschlechterung der Position von Berufseinsteigern zurücknehmen.
Proteste und politisches Engagement sind also keineswegs historisch überholt. Zur Aktivierung von Widerstand kann das Schwarzbuch Hartz IV einen Beitrag leisten, da es die Arbeitsmarktreformen aus der Perspektive der Betroffenen darstellt und die Aktionen am Anfang des Jahres 2005 dokumentiert und reflektiert. Und dies passiert nicht im Stil des Geschwatzes wie bei Sabine Christiansen, wo dann zumeist ein Betroffener eingeladen wird und alle Mitleid haben, mit demjenigen der dabei plötzlich der Einzige zu sein scheint, der nicht in der “Hängematte” liegt und Sozialleistungen hinterzieht. In diesem Sinne ist das Schwarzbuch Hartz IV ein sinnvoller Beitrag und bei weitem kein Schwatzbuch. Es ist eine durchaus ernsthafte, wenn auch an manchen Stellen leicht erregte Auseinandersetzung.
Agenturschluss (Hrsg.): Schwarzbuch Hartz IV, Sozialer Angriff und Widerstand - Eine Zwischenbilanz, Berlin 2006: Verlag Assoziation A, 188 Seiten, 11 Euro
Die Rezension von dem Buch “500 Weine unter 10 Euro” von Till Ehrlich und Bernd Kreis gibt es hier.
Endlich ist es überstanden. Diverse Radiofeatures sind gehört. Ca. 40 Stunden Fernsehberieselung (von Spielfilm- bis zu Dokumentationsformaten) sind gesehen. Mindestens sechs Buchneuveröffentlichungen und Sonderseiten in vielen Tageszeitungen sind weggelesen. Die Aufmerksamkeit zum 50. Jahrestag des 17. Juni war wesentlich größer als zum 70. Jahrestag der Bücherverbrennungen (10. Mai 1933; für alle die es nicht mitbekommen haben), an denen die deutschen Universitäten (insbesondere die faschistischen Studierendenorganisationen) nicht unwesentlich beteiligt waren. Tatsachen, derer leider nur wenig gedacht wird. Grund genug sich mit zwei Büchern zum 17. Juni zu beschäftigen.
Der 17. Juni ist als Ereignis immer umstritten gewesen. Jede Seite hatte ihre instrumentalisierte Interpretation. In der DDR wurde er hoch offiziell als ›faschistischer Putschversuch‹ gewertet. Die BRD machte aus dem Tag des Aufstandes der Arbeiter im Osten einen Feiertag für den Westen. Motto: “Tag der Deutschen”. Just wurde in Berlin die Straße, die von Westen her auf das Brandenburger Tor zuführt in die “Straße des 17. Juni” umbenannt. Seitdem ritualisierte sich in der Bundesrepublik ein Gedenken.
Die Interpretation als “Tag der Deutschen” ist jedoch mehr als fraglich. Die Arbeiter im Osten standen an dem Tag an der Maschine, während die im Westen ins Grüne fuhren. Interessant ist die Perspektive von 1953, nicht die interessengeleiteten Umdeutungen, die im Laufe der Jahre passieren. So ging es den streikenden Arbeitern in der ›Zone‹ im wesentlichen um Probleme innerhalb der DDR: Anlass waren die um 10% erhöhten Produktionsnormen - also praktisch eine Lohnkürzung - und gestiegene Preise. Es war kein Aufstand mit dem Ziel der deutschen Einheit im Sinne Adenauers.
Hans Bentzien erinnert in seinem Buch über den 17. Juni daran, dass die Frage der Verhinderung der Deutschen Einheit nicht einseitig zu erklären ist. Denn die Reklamation für ein Vorantreiben der Vereinigung seitens des Westens Deutschlands, wie sie 1990 durch den faktischen Anschluss der DDR an die BRD (nach Art. 23 GG) umgesetzt wurde, war Anfang der 50er Jahre noch nicht vorhanden. Diese wurde auch in dem (später nicht mehr gesungenen) Text der DDR-Nationalhymne gefordert. Bentzien liest sich eher so: Die BRD habe die Angebote zur deutschen Vereinigung, die vom Osten gemacht wurden, abgelehnt.
In diesem Zusammenhang verweist er darauf, dass mit der Gründung der Bundesrepublik und der Einführung der D-Mark vollendete Tatsachen geschaffen wurden. Die Westbindung war wichtiger als die Einheit. Jedoch kann auch an der Aufrichtigkeit der Vorschläge des Ostens gezweifelt werd en: Schließlich musste jedes Bemühen um die deutsche Vereinigung an der Frage des politischen Systems einer so geschaffenen Republik scheitern. Die Wiedervereinigung war also von beiden Seiten mit einem Automatismus der Ausdehnung ihres politischen Systems verbunden.
Manche Zusammenhänge lassen sich nur erklären, wenn in der Geschichte bis zu den Ergebnissen des Zweiten Weltkrieges zurückgegangen wird. So beginnt Bentzien mit seiner Beschreibung nicht erst am Vorabend des 17. Junis. Er schildert den Zustand der Politiker der DDR. Viele von ihnen wurden im Dritten Reich verfolgt und mussten fliehen. Einige von ihnen witterten daher an vielen Stellen faschistische Verschwörungen, die so nicht bestanden.
Des weiteren waren durch die wesentlich deutlichere Entnazifizierung als im Westen große Teile der Wirtschafts- und Verwaltungseliten in der DDR nicht mehr vorhanden. Dies bedeutete - neben einem fehlenden Investitionsprogramm und dem zunehmenden Abgang vor allem der fähigen Leute in den Westen - eine wesentliche wirtschaftliche und politische Schwächung. Walter ›Spitzbart‹ Ulbricht war ein Anhänger des so genannten “beschleunigten Aufbaus des Sozialismus”. Gemeint war damit die Schwerindustrie zuungunsten der Konsumindustrie aufzubauen, was zu erheblichen Unzufriedenheiten in der Bevölkerung führte. Bentzien kritisiert, dass in dieser Situation von der Regierung der DDR immer häufiger persönliche Fehler von Einzelnen für die Probleme verantwortlich gemachte wurden, anstatt sie als strukturelle Probleme zu erkennen.
Für die Bewertung des 17. Juni als “faschistischen Putschversuch” - was bis 1989 offizielle DDR-Version blieb - wurden trotz intensiver Suche es keine Beweise gefunden. Es darf aber nicht unterschlagen werden, dass es zu rechtsextremen Umtrieben kam. So wurde damals an mehreren Orten das Deutschlandlied in allen Strophen gesungen. Des weiteren gilt es zu berücksichtigen, dass die deutsch-polnische Grenze an Oder und Neiße zu der Zeit von der BRD nicht anerkannt war. Die Einstellung der Konservativen in dieser Frage änderte sich erst 1990.
Der RIAS Berlin (Rundfunk im amerikanischen Sektor) -”Eine freie Stimme der freien Welt” - spielte bei den Ereignissen im Juni 1953 eine nicht zu vernachlässigende Rolle. Für Egon Bahr - damals Redakteur des Senders der US-Armee -hatte der RIAS die Funktion eines Katalysators für die Unruhen. Bentzien geht da viel weiter und meint, der Sender habe die politischen Forderungen in die Ereignisse hineingetragen. Ein Schlüssel zur Bewertung liegt in der Fragestellung, wann die Anweisung von der US-Armee gekommen ist, nach der sich der RIAS mäßigen solle, da eine Erwärmung des Kalten Krieges befürchtet wurde. Bahr terminiert diesen Eingriff auf den 16. Juni. Bentzien meint, es müsse später gewesen sein.
Das Buch von Bentzien beleuchtet Aspekte und Zusammenhänge, die leider sonst etwas zu kurz kommen. Bei der allgemeinen Verklärung der Ereignisse vom Juni 1953 als allumfassend positiven Volksaufstand gegen ein Unrechtsregime (in manchen Darstellungen sogar als Revolution bezeichnet!) sei auch an den randalierenden Mob erinnert. Diesen ordnet Bentzien dem Westen zu, was jedoch nicht zu verabsolutieren ist. Aus dem Mob heraus gab es Anzettelungen zu Schlägereien und es kam sogar zu Lynchmorden. In der heutigen Darstellung werden die negativen Seiten der Aufständigen gerne unterschlagen. Stattdessen wird das sowjetische Militär brutalstmöglich dargestellt, wobei dieses relativ besonnen eingriff (soweit Militär dies überhaupt kann). Wesentlich härter demgegenüber war die ›juristische Aufarbeitung‹ der Ereignisse in der DDR.
Wichtig ist, dass die Ereignisse des 17. Juni nicht isoliert betrachtet werden, wodurch sie allzu häufig aus der heutigen Perspektive in eine sehr reduzierte Deutung geraten. Eine formale Schwäche des Buches von Bentzien besteht darin, dass einige Abkürzungen nicht eingeführt sind. Ein inhaltliches Problem besteht in der unzureichenden Distanzierung von polizeilichen und militärischen Aktion. So macht zwar der Lebenshintergrund des damaligen Ministers Fritz Selbmann, von den Faschisten 13 Jahre in Zwangsarbeit und KZ gebracht, die individuelle Härt e verständlich, mit der er streikende Arbeiter in einem Betrieb mit dem Leben bedrohte, wenn sie nicht sofort ihre Arbeit aufnehmen würden. Ein Rechtfertigungsgrund ist dies aber nicht. Wo ist der gesellschaftliche Fortschritt, den die DDR für sich reklamierte, wenn Menschen unter vorgehaltener Waffe zu Arbeit gezwungen werden?
Auch Stefan Heym, der auf seine späten Tage noch Alterspräsident des Deutschen Bundestages wurde und dessen Name erst im polnischen Exil auf einer Postkarte an seine Eltern entstand, war einer der Verfolgten in Nazi-Deutschland. 1945 kehrte er in einer Sergeantenuniform der US-Armee zurück. Doch die Untersuchungen “unamerikanischer Umtriebe” unter McCarthy bewegten ihn zu einer Übersiedlung in die DDR. Dort konnte sein 1974 erschienener Roman 5 Tage im Juni erst nach 1989 gelesen werden.
Heym schildert darin die Widersprüche im Arbeiter- und Bauernstaat, in dem sich Arbeiter gegen ihre Regierung richteten. Über das Buch sei nicht viel verraten, nur soviel: Es ist spannend geschrieben und ebenso zu lesen - nicht zuletzt wegen einer Liebesgeschichte. Um dies zu lesen, hätte es allerdings den ganzen Rummel um den 50. Jahrestag des 17. Juni nicht bedurft. Das Gedenken fiel in eine Zeit, in der an jedem Tag von neuem überlegt wird, an welcher Stelle Sozialleistungen gestrichen werden können. Dabei hätten die Erinnerungen an den Tag zeigen können, wie sich die Arbeitnehmer damals gewehrt haben: Die Normerhöhungen wurden schließlich zurückgenommen.
Hans Bentzien: Was geschah am 17. Juni? Vorgeschichte - Verlauf - Hintergründe, Berlin 2003, edition ost, 214 Seiten, 12,90
Stefan Heym: 5 Tage im Juni, Roman, Gütersloh 1974, C. Bertelsmann, 383 Seiten, Flohmarkt- oder Antiquariatspreis
Die Rezension von “Super-Weine aus dem Supermarkt” von Frank Kämmer ist hier zu lesen.
Auch wenn im Augenblick alles im Zeichen des dritten Golfkriegs steht - die Debatte um die “Neuen Kriege” geht weiter. Welche internationalen Dimension sie haben, beschreibt Ignacio Ramonet in seinem neuen Buch “Kriege des 21. Jahrhunderts”. Ausgehend vom 11. September betrachtet er dabei den weltweiten Terrorismus und die Vormachtstellung der USA vor dem Hintergrund der neoliberalen Globalisierung.
Ramonet, selbst einer der Gründerväter von Attac, sieht seit den Angriffen auf das World Trade Center die Globalisierungskritiker in einer Krise. Denn: Ihre zentrale Forderung, eine Besteuerung von internationalen Finanztransfers, habe durch den Terroranschlag einen unangenehmen Beigeschmack bekommen. Da die Täter ihre Motive nie erklärt haben, werde der Anschlag oft in Verbindung mit den sozialen Missständen gebracht, die aus der Globalisierung resultierten. Diese Kritik werde seitdem im öffentlichen Diskurs überdeckt vom propagandistischen Kampf gegen den Terrorismus.
Ramonet verweist darauf, dass all jene Bewegungen des Terrorismus bezichtigt würden, die berechtigt oder unberechtigt die staatliche Ordnung umstoßen wollten. Es hieße dann schlicht: “Fast alle politischen Zirkel haben sich im Laufe der Geschichte irgendwann auf den Terrorismus als Prinzip des politischen Handelns berufen.”
Dagegen weist Ramonet auf einen interessanten Zusammenhang zwischen dem neuen Terrorismus à la al-Qaida und der der neoliberalen Globalisierung hin: Während staatliche Strukturen und die Politik geschwächt würden, gewännen Netzwerksstrukturen an Bedeutung. In diesem Sinne sei auch al-Qaida stark an die bestehende Form der Globalisierung angepasst.
Gerade die USA arbeiteten bekanntermaßen in verschiedenen Konflikten auf der Welt mit Terroristen zusammen, so auch früher mit Ussama Bin Laden, als er noch gegen die Sowjetunion kämpfte. Nun, da er sich als ein Frankensteinsches Monster erwiesen habe, das sich gegen den Schöpfer wende, und da die Sowjetunion zusammengebrochen ist, sei der “terroristische” radikale Islamismus der willkommener Widersacher, der Aufrüstung und militärische Interventionen rechtfertigen ließe.
In diesem Sinne haben die Amerikaner den “Krieg gegen den Terrorismus” konsequent auf den Irak ausgedehnt - obwohl Bush die Gründe für den Krieg, den Einfluss des islamischen Fundamentalismus und Saddams Verbindungen zu Bin Laden, nie beweisen konnte.
Als Krieg neuen Typs beschreibt Ramonet auch den Kosovokrieg. Er ging aus keiner Bedrohungssituation hervor, sondern wurde als “moralische Pflicht” verstanden. Die Politik der “null Toten” war der höchste Imperativ - in Bezug auf die alliierten Angreifer. Auf Seiten der Serben sah dies ganz anders aus. Die Region wurde um 20 Jahre zurückgebombt. Die ungleichen Kräfteverhältnisse sind für Ramonet ein Kennzeichen dieser neuen Kriege.
Klar sei: Kriege zielen im Zeitalter der Globalisierung weniger auf die Eroberung von Ländern als auf die von Märkten. Eroberte Gebiete sind langfristig politisch nicht haltbar, militärisch gefährlich und finanziell kostspielig. Gleichzeitig werden neoliberale Ziele mit den neuen Kriegen durchgesetzt.
Ein weiterer wesentlicher Aspekt ist die Stärkung der Vormachtstellung der USA. Nach dem Untergang der Sowjetunion sind sie als einzige Weltmacht verblieben. Ramonet sieht sie durch den 11. September nicht geschwächt, sondern gestärkt: Es gelang den Vereinigten Staaten durch die Solidaritätserklärungen aus aller Welt die Politik anderer Länder stärker an die eigenen Vorhaben zu binden. (Einschränkend muss man sagen: Das Buch wurde vor dem Irakkrieg veröffentlicht.)
Trotz seiner zugespitzten Thesen zieht Ramonet ein positives Fazit: Eine andere Welt, ja eine bessere Welt sei möglich - ohne dass er im Einzelnen ausführt, wie sie aussehen sollte. Nur so viel: Während im Hier und Jetzt die Probleme umrissen werden, lockt eine Zukunft, in der der Mensch das Ruder in die eigene Hand nimmt und das sozial wie ökologisch zerstörerische System besiegt. So wären die neoliberale Globalisierung und die Kriege zu überwinden. Das klingt wunderbar. Über den Weg dahin hätte man aber gern etwas mehr gelesen.
Ignacio Ramonet: “Kriege des 21. Jahrhunderts. Die Welt vor neuen Bedrohungen”, aus dem Französischen von Birgit Althaler, 220 Seiten, Rotpunktverlag, Zürich 2003, 19,80
Mit Seattle und Genua ist eine Post-”Neue soziale Bewegung” in die massenmediale Betrachtung getreten. Besonders nach den gewalttätigen Ereignissen in Genua (vgl. dazu: GWR 261, September 2001) wurde ein Automatismus sichtbar: Die mediale Aufmerksamkeit die den “Globalisierungsgegnern” geschenkt wird, ist abhängig von der Härte der Auseinandersetzung. Das vermittelte Bild wird keineswegs der widersprüchlichen Vielfältigkeit dieser Bewegung(en) gerecht. So macht es Sinn sich in der Betrachtung von der Folie der massenmedialen Simplizität zu verabschieden.
In Folge der öffentlichen Aufmerksamkeit ist eine recht umfangreiche und tiefergehende Publikationstätigkeit, insbesondere von Sammelbänden eingetreten. Einer von diesen ist “Globaler Widerstand”, herausgegeben von Heike Walk und Nele Boehme. Der in dem Buch dann doch umstrittene Untertitel lautet: “Internationale Netzwerke auf der Suche nach Alternativen im globalen Kapitalismus”. Für Elmar Altvater (FU Berlin; “Grenzen der Globalisierung”) bedeutet dies, dass eine Alternative außerhalb des Kapitalismus nicht zur Debatte steht. Alle Aktivitäten der Globalisierungskritiker und Globalisierungskritikerinnen laufen seiner Meinung nach auf ein “reformistisches Regelwerk” hinaus. Sie wollen “den kapitalistischen Kern der Globalisierung nicht erst knacken … bevor die Forderungen aufgebracht und in Protestdemonstrationen in die Öffentlichkeit getragen werden”.
Diese Einschätzung wird von Dieter Rucht (Bewegungsforscher aus Berlin) nicht geteilt. Er sieht die Frage, ob es um einen Widerstand im oder gegen den Kapitalismus geht, nicht geklärt. Vielmehr bezweifelt er das durch kleine Kursänderungen im neoliberalen Globalisierungsprozess den Forderungen der Kritiker und Kritikerinnen an diesem Prozess entsprochen werden kann. Des weiteren versucht Rucht öffentlich erzeugte Mythen über die globalisierungskritische Bewegung zu entschlüsseln.
Entgegengesetzte Auffassungen funktionieren auch bei der globalisierungskritischen Bewegung nicht als Spaltungslinien. Besonders in ihrer Offenheit - die häufig bemängelt wird, da mit ihr eine vielschichtige Unbestimmtheit einhergeht - liegt ihre Stärke, ebenso in dem Interesse sich nicht nur mit globalen, neoliberalen Entwicklungen auseinander zu setzen, sondern auch mit sich selbst. Dies meint der Untertitel mit der “Suche nach Alternativen”. Dem kommt auch die Funktion eines Sammelbandes nach, da es nicht darum geht zu schreiben was die Globalisierungskritiker und Globalisierungskritikerinnen sind, sondern wohin sie aufbrechen möchten und an welche Bewegungen der Vergangenheit sie anknüpfen können. Dabei klingen auch einige kritische Aspekte und Fragestellungen in der Auseinandersetzung mit der Globalisierungskritik an.
Es wird keine geschlossene Theorie präsentiert, sondern auch gegensätzliche Einschätzungen vertreten. Trotzdem bestehen die Texte nicht aus einer Diskussion unter Eingeweihten. Die Publikation bleibt offen für Leser/innen, die sich nicht sehr intensiv mit dem globalen Protest auseinandergesetzt haben. Es ist ein gut gelungenem Brückenschlag zwischen wissenschaftlichen Maßstäben und der Orientierung an allgemeiner Verständlichkeit.
Damit einhergehend werden Berührungspunkte zwischen kritischer Wissenschaft und Aktiven der globalisierungskritischen Bewegung gefunden. Der - erst kürzlich verstorbene - französische Soziologe Pierre Bourdieu (siehe Nachruf in: GWR 267, März 2002) beschreibt wie diese Kooperation aussehen kann und vertritt vehement die Auffassung, dass Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen angesichts der drastischen gesellschaftlichen Auswirkungen neoliberaler Globalisierung nicht nur das Recht haben, sondern auch in der Pflicht stehen, sich aus ihrem “Elfenbeinturm” zu begeben. Gerade vor dem Hintergrund der zunehmenden Durchdringung der Forschungsseinrichtungen von der neoliberalen Logik, wird dieser Aspekt zunehmend relevant.
Rädchen oder Sand im Getriebe?
Die Bedeutung und Rolle kapitalismuskritischer Kräfte bleibt in “Globaler Widerstand” offen. Stattdessen taucht von Walk ein - nicht näher erläuterter - Zivilgesellschaftsbegriff auf. Steht er nun affirmativ im Raum, oder meint er mehr als bürgerliche Partizipation? Und wie verhält sich dieser Begriff angesichts globaler und hiesiger ungleicher Ressourcenverteilung? Ein Teil der Antworten werden von Walk zusammen mit Achim Brunnengräber in “Die Globalisierungswächter” gegeben. Dieses Buch ist vor den öffentlich beachteten weltweiten Protesten an der neoliberalen Globalisierung erschienen.
Hier wird, neben einer ausführlichen Darstellung der Nichtregierungsorganisationen (NGOs) in der Auseinandersetzung um die Klimapolitik, ein Überblick über den schwammig gewordenen Zivilgesellschaftsbegriff gegeben. Sie stellen fest, dass sie nicht a priori in eine bestimmte Richtung wirkt, sondern eher als Konfliktfeld zu betrachten ist, in dem konkrete Akteure wirken. Die NGOs mit ihren ambivalenten Funktionen zwischen Legitimationsbeschaffer und Opposition verdeutlichen dies. Walk und Brunnengräber sehen in den NGOs am Beispiel der Klimapolitik ein Demokratisierungspotenzial durch die Verstärkung einer “Weltöffentlichkeit”. Doch weder, so ihr Resümee, reichen die Partizipationsmöglichkeiten aus, noch kann eine ernsthafte Kontrolle der “vermachteten internationalen Politikprozesse” beobachtet werden.
Bei der internationalen Aushandlung der Klimapolitik wird deutlich, wie die zunehmende Komplexität in der Auseinandersetzung Fachwissen auf Seite der Protestierenden voraussetzt. Dies schränkt Emanzipationsmöglichkeiten ein, da eine Bewegung dieser Funktion nur bedingt gerecht werden kann. Die angestrebte gesellschaftliche Veränderung kann auf dieser Ebene nicht erzwungen werden, da mit der Einbeziehung Weniger selektive Schließungsprozesse einhergehen. Und hier kommt die allzu häufig verachtete Masse, ihre Kultur und die Medien mit ihr zu kommunizieren gegenüber den ungenügend demokratisch legitimierten internationalen Entscheidungsgremien wieder ins Spiel.
Heike Walk und Nele Boehme (Hrsg.): Globaler Widerstand - Internationale Netzwerke auf der Suche nach Alternativen im globalen Kapitalismus, Münster 2002, Verlag Westfälisches Dampfboot, 221 Seiten
Heike Walk und Achim Brunnengräber: Die Globalisierungswächter - NGOs und ihre transnationalen Netze im Konfliktfeld Klima, Münster 2000, Verlag Westfälisches Dampfboot, 336 Seiten
Mit der Debatte um die private Nutzung von Bonusmeilen durch Bundestagsabgeordnete ist der Begriff Moral wieder in der politischen Auseinandersetzung aufgetaucht. Dabei erregt es keine Aufmerksamkeit, da� die meisten Bundestagsabgeordneten zu den Vielfliegern geh�ren. Es geht lediglich um die Aneignung von Steuergeldern, nicht jedoch um Aneignung bzw. exorbitante Nutzung nat�rlicher Ressourcen. Anders ist dies im Buch �Welt Um Welt� von J�rgen Trittin. �Der Flugverkehr, von der Urlaubsreise �ber Gesch�ftsreise bis zur Luftfracht, hat rapide zugenommen - die Kosten dagegen haben abgenommen�, schreibt er und schildert die �kologischen Folgen dieser Entwicklung, auch anhand der Situation der Eisb�ren im Zusammenhang mit der Erderw�rmung oder der naturzerst�renden Wirkung der Massenproduktion von Shrimps.
Im Kern der Problemfelder erkennt Trittin die Kapitalrendite als �einziges Erfolgskriterium�. Dem soll eine �kologische Langfristorientierung gegen�bergestellt werden. Trittin leitet den Handlungsdruck davon ab, da� die Wirtschaftsweise des Nordens angesichts der �kologischen Ressourcen nicht global tragf�hig ist. Der derzeitige Lebensstil des Nordens kann - aufgrund der Grenzen des �kosystems - nicht globalisiert werden. An dieser Entwicklungsform orientieren sich die L�nder des S�dens. Deswegen ist im Norden, der als fehlentwickelt beschrieben wird, eine grunds�tzlich neue Zielausrichtung notwendig: ein ��kosozialprodukt� statt eines Bruttosozialprodukts.
Die L�sung der ph�nomenologisch beschriebenen Gesamtproblematik sieht Trittin in einer verst�rkten globalen Regulation nach �kologischen Gesichtspunkten. Ein Instrument in der umfassenden Internalisierung von �kologischen und sozialen Kosten: eine ��koeffizienz� soll angestrebt werden, z. B. im Flugverkehr. Konkrete Beispiele f�r Regulationen w�ren die Einf�hrung �absoluter Obergrenzen f�r den Verbrauch endlicher Ressourcen� oder die Tobinsteuer, die er f�r sinnvoll erachtet.
Entsprechend dieser Forderungen m�chte Trittin die �Dominanz von G8, IWF und WTO� einschr�nken und daf�r die Kompetenzen der UN-Organisationen ausweiten. Die Vereinten Nationen sind der Rahmen, in dem eine �kologische Zieldefinition weltweit durchgesetzt werden kann. Kritische Einw�nde zum Rio+10-Proze� wie den von Kofi Annan, der immerhin von R�ckschritten schrieb, blendet Trittin aus. Ambivalent bleibt auch die Rolle der EU. Zum einen wird sie als M�glichkeit betrachtet, europ�ischen Umweltinteressen international Gewicht zu verleihen, zum anderen sind die Subventionen (vor allem im Agrarbereich) auch ein Grund f�r die weltweite soziale und �kologische Ungerechtigkeit.
Trittin wei�, da� �internationale Konzerne auf nationale Regierungen erheblichen Druck aus�ben� k�nnen. Leider bleibt offen, was dies f�r die vergangenen vier Jahre als Umweltminister bedeutete. So bleiben die Akteure schematisch und fast schon steril. Der Proze� der Ver�nderung ist in dieser Publikation kaum an eine Betrachtung von politischen Kr�fteverh�ltnissen gekoppelt.